Gender-Ungleichgewicht in der kardiovaskulären Versorgung: Gemeinsam (für) Frauenherzen starkmachen

Veröffentlicht am: 07.01.2025

Das Thema geschlechtersensible Medizin rückt vermehrt in den Fokus – zu Recht: Bisher waren Frauen in klinischen Studien oft unterrepräsentiert, dabei können z. B. hormonelle Unterschiede die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen. Auch in Sachen Lipidmanagement bei Frauen besteht Handlungsbedarf.

Eine geschlechtersensible Herangehensweise in der medizinischen Forschung und Alltagsversorgung scheint zunehmend an Relevanz zu gewinnen: Die Anzahl entsprechender Artikel in Fachzeitschriften nimmt zu, ebenso wie Beiträge auf Kongressen und Angebote zu Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Thema. Zwischen 56 und 70 % der medizinischen Fakultäten und Ausbildungsstätten im Gesundheitswesen bieten nach einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e. V. (DGesGM) derzeit geschlechter- und Diversitätsaspekte in einzelnen Lehrveranstaltungen an. Eine vollständige Integration von Geschlechteraspekten über das gesamte Curriculum hinweg inklusive Prüfungsrelevanz geschieht bisher allerdings in lediglich 3,7 % der medizinischen Fakultäten, wie die DGesGM bemängelt.1 Um die Aufmerksamkeit für geschlechterspezifische Unterschiede in der Behandlung und Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen zu erhöhen, führte Daiichi Sankyo im letzten Jahr neben einem Satellitensymposium auch mehrere Online-Seminare zu diesem Thema durch. Weitere Veranstaltungen sind für 2025 geplant.

Frauen erreichen ihre LDL-C-Zielwerte schlechter als Männer

Hohe LDL-C-Werte sind direkt mit Atherosklerose assoziiert und stellen damit einen wichtigen Risikofaktor und eine häufige Ursache für kardiovaskuläre Erkrankungen dar.2 Die multinationale Real-World-Registerstudie SANTORINI zeigte, dass lediglich 20 % der Patient:innen mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko die LDL-C-Ziele der ESC/EAS-Leitlinie 20193 erreichen.4 Gemäß einer Subgruppenanalyse zu SANTORINI sowie weiterer Studien erreichen Frauen ihren LDL-C-Zielwert hierbei noch seltener als männliche Studienteilnehmer.5-7 Doch woran liegt das? Hierfür kann es mehrere Gründe geben:

  • Biologische Unterschiede:
    Aufgrund von hormonellen Unterschieden, insbesondere durch Östrogen, weisen Frauen und Männer oft ein unterschiedliches Lipidprofil auf. Nach der Menopause sinkt der Östrogenspiegel, was zu einem Anstieg des LDL-C führen kann.7,8
  • Unterschiedliche Behandlung:
    Frauen erhalten seltener intensivere lipidsenkende Therapien (LLT), obwohl sie ein gleiches oder höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen haben können. Ihnen wird seltener eine intensive Statin-Therapie angeboten, obwohl diese bei Frauen eine vergleichbare Wirksamkeit in Hinblick auf die LDL-C-Senkung zeigen.9,10
  • Symptome und Diagnose:
    Die Symptome kardiovaskulärer Erkrankungen können sich bei Frauen und Männern unterschiedlich darstellen, was teilweise zu anderen Diagnose- und Behandlungsansätzen führt.7
  • Verträglichkeit und Adhärenz:
    Daten aus verschiedenen Studien weisen darauf hin, dass bei Frauen ein signifikant höheres Risiko für eine Statin-Intoleranz besteht.11,12 Dies scheint sich auch auf die Therapietreue auszuwirken: Frauen haben eine 10 % höhere Wahrscheinlichkeit für Nonadhärenz in der Statinbehandlung als Männer.13

Multinationale Querschnittsstudie zeigt Unterschiede zwischen den Geschlechtern

EUROASPIRE IV war eine Querschnittsstudie, die in 78 Zentren verteilt auf 24 europäische Länder durchgeführt wurde. Von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) initiiert, sollte sie aufzeigen, ob die Leitlinien der „Joint Task Force“*,14 zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen in der täglichen klinischen Praxis befolgt werden. Der Fokus lag dabei auf der der Sekundärprävention bei Patient:innen mit koronarer Herzkrankheit (KHK).  Außerdem sollte die Studie die Umsetzung von Lebensstilanpassung bewerten sowie die Risikofaktoren in dieser Population abbilden. Hierzu wurden 7.998 KHK-Patient:innen ≥ 6 Monate nach einem Koronararterienbypass, einer perkutanen Koronarintervention oder einem akuten Koronarsyndrom untersucht und befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass es insbesondere bei der Erreichung der Zielwerte für Blutdruck, Blutzucker und LDL-C sowie bei Änderungen des Lebensstils Defizite gab.15

Auch hierbei zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede: Weniger Frauen als Männer (30,2 % vs. 44,4 %) gaben an, moderate bis starke sportliche Aktivitäten gemäß den IPAQ-Kriterien* auszuüben. Frauen hatten zudem eine höhere Prävalenz für Diabetes mellitus, Adipositas, abdominales Übergewicht und zentrale Fettleibigkeit als Männer. 84 % der Frauen hatten einen LDL-C-Wert ≥ 1,8 mmol/l (vs. 79 % der Männer), 49 % sogar einen Wert von ≥ 2,5 mmol/l (vs. 40 %).15

Informationsangebote für Ihre Patientinnen

„Warum Frauenherzen anders sind – und anders behandelt werden müssen“ – IMPULS Podcast-Folge von der Deutschen Herzstiftung: https://herzstiftung.de/service-und-aktuelles/podcasts/frauen-herzerkrankungen

„Koronare Herzkrankheit und Herzschwäche – was ist bei Frauen anders?“ – Sonderdruck der Deutschen Herzstiftung: https://herzstiftung.de/system/files/2022-03/SD28-Herzinfarkt-bei-Frauen.pdf

Was Sie für Ihre Patientinnen tun können

Die Datenlage zeigt, wie wichtig es ist, geschlechterspezifische Ansätze im Management von LDL-C und anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren zu berücksichtigen, um die Gesundheitsergebnisse für beide Geschlechter zu optimieren. Bei Patientinnen mit Fettstoffwechselstörungen in der hausärztlichen Praxis sollten die folgenden Punkte berücksichtigt werden:

  • Diagnostische Abklärung:
    Führen Sie eine umfassende Anamnese zur Ermittlung von Risikofaktoren (familiäre Vorbelastung, Lebensstil) durch und bestimmen Sie die Lipidprofile einschließlich Gesamtcholesterin, LDL-C, HDL-C und Triglyceride.
  • Lebensstilanpassungen:
    Empfehlen Sie eine ausgewogene, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität. Unterstützen Sie Ihre Patientinnen bei der Raucherentwöhnung und Reduzierung des Alkoholkonsums.
  • Medikamentöse Therapie und regelmäßige Kontrollen:
    Erwägen Sie die Verschreibung von Statinen zur LDL-C-Senkung, ggf. in Kombination mit einem Cholesterin-Resorptionshemmer und einem ACL-Hemmer. Bei hohen Triglyceridwerten können Fibrate oder Omega-3-Fettsäuren in Betracht gezogen werden. Denken Sie an eine regelmäßige Kontrolle zur Überwachung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie und prüfen Sie dabei auch Blutdruck, Blutzucker und Lipidprofile.
  • Schulung Ihrer Patientinnen:
    Informieren Sie die Patientinnen über die Bedeutung der Therapie, die Risiken unbehandelter Fettstoffwechselstörungen und gehen Sie auf etwaige Bedenken zur medikamentösen Behandlung ein. Ermutigen Sie zur aktiven Teilnahme an ihrer Gesundheitsvorsorge und zur Befolgung der empfohlenen Maßnahmen.
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit:
    Ziehen Sie bei Bedarf Spezialist:innen – bspw. aus der Endokrinologie oder Ernährungsberatung – hinzu, um eine umfassende Betreuung zu gewährleisten.

Gemeinsam Awareness schaffen

Am ersten Freitag im Februar – so auch am 7. Februar 2025 – findet der internationale Aktionstag „Go Red for Women“ statt.16 Dieser soll Awareness für die geschlechterspezifischen Unterschiede im kardiovaskulären Bereich schaffen und Frauen ermutigen, selbst mehr für Ihre Herzgesundheit zu tun. Zahlreiche Gesellschaften, Stiftungen und Unternehmen weltweit beteiligen sich mit regionalen oder auch digitalen Aktionen. Auch die Deutsche Herzstiftung beteiligt sich.

* Joint Task Force der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gemeinsam mit Repräsentanten 10 weiterer Fachgesellschaften; besondere Mitwirkung der Europäischen Vereinigung für kardiovaskuläre Prävention und Rehabilitation (EACPR).14
** International Physical Activity Questionnaire


Literatur:

  1. Deutsche Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e. V. (DGesGM): Der Zustand der geschlechtersensiblen Lehre in Deutschland. Online unter: https://www.dgesgm.de/geschlechtersensible-lehre.html (Letzter Aufruf Dezember 2024).
  2. Ference BA et al. Eur Heart J. 2017;38(32):2459–2472.
  3. Mach F et al. Eur Heart J 2020;41(1):111–188.
  4. Ray KK et al. Lancet Reg Health Eur 2023;29:100624.
  5. Galema-Boers AMH et al. Atheroscler. 2023;384:117108.
  6. Vogel B et al. Lancet. 2021;397(10292):2385–2438.
  7. Roeters van Lennep JE et al. EHJ. 2023;44:4157–4173.
  8. Gouni-Berthold I, Laufs U. Dtsch. Arzteblatt Int. 2024;121:401–406.
  9. Bradley CK et al. J Am Heart Assoc. 2019;8(7):e011765.
  10. Kim BG et al. Scientific Reports. 2023;13:20157.
  11. Bytyçi I et al. Eur Heart J. 2022;43:3213–23.
  12. Amrock SM et al. Atherosclerosis. 2017;267:19–26.
  13. Lewey J et al. Am Heart J. 2013;165(5):665–678.
  14. Perk J et al. Eur Heart J. 2012;33(13):1635-1701.
  15. Kotseva K et al. Eur J Prev Cardiol. 2016;23(6):636-648.
  16. American Heart Association: Go Red for Women. Online unter: https://www.goredforwomen.org/en/ (letzter Aufruf: Dezember 2024).

Bildnachweis: Jacob Wackershausen/iStock; iStock-2050123833

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