Go Red for Women 2025: Eine Herzensangelegenheit für geschlechterspezifische Kardiologie

Veröffentlicht am: 07.02.2025

Herzkrankheiten sind die häufigste Todesursache bei Frauen, oft unentdeckt und unterschätzt – selbst in der Schwangerschaft. Der Aktionstag „Go Red“ plädiert deshalb für ein stärkeres Bewusstsein für die Herzgesundheit von Frauen und geschlechterspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie.

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die häufigste Todesursache bei Frauen.1 In der Europäischen Union lassen sich die Todeszahlen aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse jährlich auf 2,2 Millionen beziffern.2 Allein in Deutschland starben im Jahr 2022 insgesamt 190.736 Frauen an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, darunter durchschnittlich 20.000 an einem Myokardinfarkt.1 Obwohl diese Zahlen alarmierend sind, bleibt das Bewusstsein für das individuelle Risiko bei Frauen gering – sowohl auf Seiten der Patientinnen als auch innerhalb der medizinischen Versorgungskette. Dies beeinträchtigt nicht nur die Behandlungsmöglichkeiten, sondern verschlechtert auch die Prognose. Aus diesem Grund fand am 7. Februar 2025 der Aktionstag „Go Red for Women“ statt.3 Dieser jährliche Tag macht weltweit auf die Bedeutung der weiblichen Herzgesundheit aufmerksam, schafft Bewusstsein für die geschlechterspezifischen Unterschiede in der kardiovaskulären Medizin und ermutigt Frauen, proaktiv Schritte zur Verbesserung ihrer Herzgesundheit zu unternehmen.

Geschlechterspezifische Diagnostik: Frauenherzen schlagen anders

Das Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen ist in der europäischen Bevölkerung allgemein wenig ausgeprägt. Zu diesem Schluss kommt die European Survey of Cardiovascular Disease:4 Von den 6.000 Befragten gaben lediglich 12,2 % an, sich vor einer Herz-Kreislauf-Erkrankung im Alter zu fürchten, während Krebserkrankungen (33,6 %) und Demenz (29,3 %) als weitaus größere Bedrohungen wahrgenommen wurden. Dies steht in deutlichem Widerspruch zur epidemiologischen Realität: Allein im Jahr 2020 waren in der Europäischen Union mehr als 60 Millionen Menschen von kardiovaskulären Erkrankungen betroffen.4 Die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und epidemiologischer Realität unterstreicht die Bedeutung gezielter Aufklärung und sensibilisierter Ansätze in der Diagnostik und Versorgung. Besonders relevant wird dies, wenn man die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Manifestation und Symptomatik kardiovaskulärer Erkrankungen betrachtet. Hier ist eine differenzierte Herangehensweise von entscheidender Bedeutung, da sich die Präsentation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen erheblich von der bei Männern unterscheiden kann.2

Der Myokardinfarkt ist hierbei ein Paradebeispiel. Während Männer häufig starke und lokalisierte Brustschmerzen als Leitsymptom berichten, äußern Frauen neben schwächeren Brustschmerzen häufiger unspezifische Beschwerden. Dazu zählen ein erdrückendes Engegefühl, Schmerzen im Epigastrium sowie Übelkeit und Erbrechen.5 Diese Unterschiede sind von zentraler Bedeutung für die korrekte Einordnung der Akutsituation und die rechtzeitige Einleitung geeigneter Maßnahmen. Eine Sensibilisierung für geschlechterspezifische Unterschiede in der Symptomatik kann die Erfolgsaussichten der Therapie erhöhen und die Prognose verbessern. Werden die Symptome jedoch nicht richtig erkannt oder falsch interpretiert, besteht das Risiko einer verzögerten oder gar ausbleibenden Diagnosestellung. Dies führt nicht nur zu einer ineffizienten Versorgung, sondern begünstigt auch eine unzureichende Behandlung, die die gesundheitlichen Folgen für Frauen erheblich verschärfen kann.

Hormone und Lipidstoffwechsel: Ein Schutz mit Verfallsdatum

Ein effektives Lipidmanagement ist essenziell für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen. Dabei kommt dem LDL-C eine zentrale Bedeutung zu, da erhöhte Werte eng mit der Pathogenese der Atherosklerose verknüpft sind und damit einen wichtigen Risikofaktor bzw. eine häufige Ursache für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse darstellen.6 Während das kardiovaskuläre Risiko pro mg LDL-C bei Männern und Frauen identisch ist, zeigen sich deutliche Unterschiede in den geschlechtsspezifischen Lipidprofilen. Diese Unterschiede wurden unter anderem durch Daten des Global Diagnostic Network (GDN) verdeutlicht, das klinische Laborwerte aus 17 Ländern analysierte.

Das Ergebnis: Bei Männern erreichen die mittleren Gesamtcholesterinwerte ihren Höchststand zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, während dies bei Frauen erst zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr der Fall war.7 Diese zeitlichen Unterschiede im Lipidprofil lassen sich vor allem durch hormonelle Faktoren erklären.

Östrogen als Schutzfaktor

Das Hormon Östrogen spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulation der Cholesterinbiosynthese. Vor der Menopause sorgt ein hoher Östrogenspiegel dafür, dass LDL-C-Werte bei Frauen vergleichsweise niedrig bleiben. Mit dem Eintritt der Menopause und dem damit verbundenen Rückgang der Östrogensekretion steigt jedoch der LDL-C-Spiegel bei Frauen signifikant an – oft stärker als bei Männern in derselben Altersgruppe. Diese Veränderung trägt zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko bei postmenopausalen Frauen bei.1,8

Therapieoptionen und geschlechtsspezifische Herausforderungen

Zur Senkung der LDL-C-Werte stehen neben Lebensstilanpassungen mehrere etablierte pharmakologische Optionen bereit. Zu den wirksamsten Therapien zählen Statine, PCSK9-Inhibitoren, der Cholesterol-Resorptionshemmer sowie der orale ATP-Citrat-Lyase (ACL)-Inhibitor. Diese Medikamente bieten die Möglichkeit, das kardiovaskuläre Risiko nachhaltig zu reduzieren.9 Trotz dieser Optionen erreichen Frauen ihre LDL-C-Zielwerte seltener als Männer8,10. Dieser Umstand verdeutlicht die Relevanz geschlechterspezifischer Aspekte in der Behandlung, die bislang möglicherweise unzureichend berücksichtigt werden.

Schwangerschaft: Ein Stresstest für das Herz

Schwangerschaften sind mit tiefgreifenden metabolischen und physiologischen Veränderungen verbunden, die insbesondere den Lipidstoffwechsel betreffen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2023 in Deutschland knapp 693.000 Lebendgeburten registriert. Das durchschnittliche Alter der Mutter bei Geburt des ersten Kindes lag bei 30,3 Jahren, und die durchschnittliche Geburtenrate bei 1,35 Kindern pro Frau.11 Die metabolischen Veränderungen während der Schwangerschaft sind essenziell, um den steigenden Energiebedarf der Mutter und des Fötus zu decken. Gleichzeitig können sie klinisch relevant werden, insbesondere bei Frauen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen oder unentdeckten Prädispositionen. Eine differenzierte Beurteilung des kardiovaskulären Risikos ist daher unerlässlich, um das Auftreten von Komplikationen frühzeitig zu erkennen oder diesen vorzubeugen.

Veränderungen des Lipidstoffwechsels

Auch der Lipidstoffwechsel unterliegt während der Schwangerschaft einer signifikanten Umstellung.12 Diese Anpassungen sind durch hormonelle Einflüsse wie den Anstieg von Östrogenen und Progesteron bedingt. Während Östrogen außerhalb der Schwangerschaft typischerweise eine Senkung der LDL-C-Werte fördert, trägt es in der Schwangerschaft – in Kombination mit Progesteron und humanem Plazentalaktogen – zu einem kontrollierten Anstieg der Lipidwerte bei. So steigen die LDL-C-Werte im Plasma um 25 % bis 50 %, während die Triglyceridwerte sogar um 150 % bis 300 % zunehmen können. Der stärkste Anstieg wird typischerweise im dritten Trimester beobachtet.12-14 Eine Behandlung mit Lipidsenkern (Statinen, Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-lnhibitoren) ist im Rahmen einer Schwangerschaft jedoch kontraindiziert.15,*

Kardiovaskuläre Risiken

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Hauptursache für schwangerschaftsbedingte Todesfälle.16 Angeborene Herzfehler der werdenden Mutter stellen dabei den größten Risikofaktor dar.17 Die physiologischen hämodynamischen Anpassungen während der Schwangerschaft, insbesondere die Absenkung des systemischen Gefäßwiderstands und die Steigerung des Herzzeitvolumens (HZV), können das kardiovaskuläre System erheblich belasten.18 Diese physiologischen Veränderungen können dazu führen, dass bisher asymptomatische Prädispositionen, beispielsweise für Herzrhythmusstörungen oder andere kardiale Erkrankungen, klinisch manifest werden und Komplikationen verursachen. Das Risiko schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse korreliert dabei direkt mit dem Grad der vorbestehenden kardialen Belastung. Die Risikoeinschätzung erfolgt nach Standards der mWHO (Modified WHO Classification of Maternal Cardiovascular Risk).15 Um das Risiko für Mutter und Kind zu minimieren, sollte bei Patientinnen mit bekannter kardiovaskulärer Vorerkrankung frühzeitig eine interdisziplinäre Beratung erfolgen. Dies umfasst die Beurteilung der individuellen kardialen Belastung, die Anpassung bestehender Therapieansätze und die Entwicklung eines maßgeschneiderten Behandlungsplans für Schwangerschaft und Stillzeit. Idealerweise wird dieser Plan bereits im Vorfeld einer geplanten Schwangerschaft erstellt.

Kardiovaskuläre Erkrankungen & Schwangerschaft – die Key Facts im Überblick15

  • Führende Todesursache: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Hauptursache für schwangerschaftsbedingte Mortalität.
  • Risikofaktor: Komplikationen sind am häufigsten auf angeborene Herzfehler der Schwangeren zurückzuführen.
  • Leitlinien-Empfehlung: Die European Society of Cardiology (ESC) spricht sich in Ausnahmefällen bei erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse gegen eine Schwangerschaft aus.
  • Individualisierte Therapieplanung: Für Frauen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sollten bereits vor einer geplanten Schwangerschaft Therapiekonzepte erstellt werden. Diese müssen auf Kontraindikationen während der Schwangerschaft und Stillzeit überprüft und abgestimmt werden.
  • Interdisziplinäre Versorgung: Ein multidisziplinäres Team übernimmt im besten Fall die Behandlung.

Rotes Signal, klare Botschaft: Frauenherzen brauchen Taktgefühl

Seit ihrer Gründung durch die American Heart Association (AHA) im Jahr 2004 hat sich „Go Red for Women“ zu einer globalen Bewegung entwickelt, die das Bewusstsein für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen stärken und die Bedeutung geschlechtersensibler Medizin in den Fokus rücken möchte.3 Der jährliche Aktionstag ist weit mehr als eine symbolische Veranstaltung: Er vereint wissenschaftliche Erkenntnisse, gezielte Aufklärung und praxisorientierte Handlungsempfehlungen, um Versorgungslücken zu schließen. Zahlreiche medizinische Fachgesellschaften, Vereine und Unternehmen beteiligten sich in Form von Aktionen oder Veranstaltungen am 7. Februar, so auch Daiichi Sankyo mit dem Symposium „Lipidversorgung im Fokus: Wo können wir besser werden? A call for Action“ im Rahmen des Vascular Medicine and Atherosclerosis Congress (VMAC 2025) in Essen. Darüber hinaus dient das symbolische Tragen roter Kleidung oder Accessoires an diesem Tag als visuelles Statement, das die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Kardiologie verdeutlichen soll. Der Aktionstag ist eine Einladung an Ärztinnen und Ärzte, aber auch an die Gesellschaft insgesamt, gemeinsam Verantwortung für die Herzgesundheit von Frauen zu übernehmen. Denn nur durch das Zusammenspiel von wissenschaftlicher Evidenz, geschlechtersensibler Medizin und öffentlichem Engagement kann es gelingen, die Versorgung nachhaltig zu verbessern.

Frauenherzen schlagen anders – und genau deshalb verdienen sie eine Medizin, die mit ihnen im Takt bleibt.


* siehe jeweilige Fachinformation der lipidsenkenden Therapien.

Literatur:

    1. Gouni-Berthold I, Laufs U. Dtsch Arzteblatt Int. 2024; 121:401-6
    2. Baessler A et al. Die Kardiologie 2024; 18:293-321
    3. American Heart Association: Go Red for Women. Online unter: https://www.goredforwomen.org/en/ (letzter Aufruf: Januar 2025)
    4. Daiichi Sankyo Europe: European Survey Report of Cardiovascular Disease. Online unter:https://wecareforeveryheartbeat.com/wp-content/uploads/2023/08/European_Survey_Report_final_approved_Jul_2022.pdf (letzer Aufruf: Januar 2025)
    5. Die Deutsche Herzstiftung: Herzinfarkt bei Frauen: Diese Symptome sollten Sie kennen! Online unter: https://herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinfarkt/anzeichen/herzinfarkt-frauen-symptome (letzer Aufruf: Januar 2025)
    6. Ference BA et al. Eur Heart J. 2017;38(32): 2459-72
    7. Martin SS et al. Eur Heart J. 2023; 44:2305-18
    8. Roeters van Lennep JE et al. Eur Heart J. 2023; 44:4157-73
    9. DGFL (Lipid-Liga) e. V. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Fettstoffwechselstörungen. Online unter: https://www.lipid-liga.de/empfehlungen (Letzter Aufruf: Januar 2025)
    10. Vogel B et al. Lancet. 2021; 397(10292):2385–438
    11. DESTATIS, Statistisches Bundesamt. Bevölkerung: Geburten. Online unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/_inhalt.html (letzter Aufruf: Januar 2025).
    12. Wiznitzer A et al. Am J Obstet Gynecol. 2009; 201:482 e1–8
    13. Toleikyte I et al. Circulation 2011; 124:1606-14
    14. Amundsel AL et al. Atherosclerosis 2006; 189:451-7
    15. Muck MA et al. Kardiologie up2date 2024; 20(03):269-89
    16. Centers for Disease Control and Prevention (CDC): Pregnancy Mortality Surveillance System. Online unter: https://www.cdc.gov/maternal-mortality/php/pregnancy-mortality-surveillance/index.html (letzter Aufruf: Januar 2025)
    17. Roos-Hesselink J et al. Eur Heart J. 2019; 40:3848-55
    18. Regitz-Zagrosek V et al. Eur Heart J. 2018; 39:3165-241

Bildnachweis: Angelina Ishmukhametova / iStock 1784654696

Zurück


Veranstaltungen auf der DS-Kardiothek:
Unsere Empfehlungen für Sie

Ob Präsenzveranstaltungen, Online-Seminare oder ein umfangreiches Angebot an aufgezeichneten Seminaren - auf der DS-Kardiothek finden Sie zahlreiche Möglichkeiten, sich fortzubilden. Besuchen Sie einfach unsere Veranstaltungsübersicht oder beachten Sie unsere aktuellen Empfehlungen.


News & Aktuelles von unseren Fachkreis-Portalen LDL-senken.de und NOAK-Therapie.de