Ein Herz für Frauenherzen: geschlechtsspezifische Kardiologie

Veröffentlicht am: 05.12.2023

Mal ehrlich: Haben Sie im Behandlungsalltag die Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen immer auf dem Schirm? Lesen Sie hier, warum Frauenherzen „anders schlagen“ und welche Hürden es zu überwinden gilt, um den Gendergap zu schließen.

Nach wie vor gelten Herzerkrankungen häufig als typische „Männerkrankheit“. Doch nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache.1 Aber: Männer- und Frauenherzen unterscheiden sich auf morphologischer, anatomischer und physiologischer Ebene – mit vielfältigen Auswirkungen auf alle Bereiche der Kardiologie.2 Eine Differenzierung zwischen Männer- und Frauenherzen ist deshalb wichtig, findet aber häufig nicht in ausreichendem Maße statt.3

Schlagen Frauenherzen anders?

Wo und wie genau kommen diese Unterschiede zum Tragen? Frauen haben insgesamt kleinere Koronargefäßdiameter und erleiden häufiger als Männer linksbetonte Koronargefäßerkrankungen.2 Atherosklerotische Gefäßablagerungen sind bei Frauen eher diffus lokalisiert.2

Große Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es auch in der Arzneimittelwirksamkeit. Diese ergeben sich aus einem oft niedrigeren Körpergewicht von Frauen, dem höheren Fettanteil des weiblichen Körpers und aus Unterschieden in der Enzymaktivität des Magen-Darm-Trakts.4 Außerdem reagieren Frauen sensibler auf psychosozialen Stress, der das Risiko für das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beträchtlich erhöht.2, 5, 6

Die wichtigsten Unterschiede im Überblick

Die gängigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen bei Frauen häufig bestimmte Besonderheiten:

  • Beim akuten Koronarsyndrom ist prämenopausal eher eine Plaqueerosion und postmenopausal – genau wie bei Männern – eher eine Plaqueruptur ursächlich.2 Auch treten Koronarspasmen bei Frauen häufiger auf als bei Männern.5 Ein akuter Herzinfarkt äußert sich bei Frauen häufiger lediglich durch Kurzatmigkeit, Übelkeit oder grippeähnliche Symptome und wird deshalb oft zu spät erkannt.3, 5 Das Tako-Tsubo-Syndrom ist bei circa 8 % der akuten Koronarsyndrome bei Frauen die Ursache – und damit wesentlich häufiger als bei Männern.6
  • Frauen leiden eher an einer diastolischen Herzinsuffizienz, Männer eher an einer systolischen Dysfunktion des Herzens.4
  • Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist bei Frauen insgesamt mit einem höheren Mortalitätsrisiko verbunden als bei Männern.2 Dabei erkranken Frauen aufgrund des prämenopausalen Hormonschutzes im Mittel etwa 10 Jahre später als Männer und leiden häufiger unter Begleiterkrankungen.2 Eine Diabeteserkrankung beispielsweise fördert das Auftreten der KHK bei ihnen stärker als bei Männern.6
  • Im Falle der stabilen Angina pectoris ist die Interpretation nichtinvasiver Diagnostik bei Frauen oftmals unzuverlässig.6 Daher gelten bildgebende Verfahren (Emissionstomografie, SPECT oder Stressechokardiografie) als Untersuchungsmethode der Wahl.6 Bei Frauen treten zudem Störungen der myokardialen Mikrozirkulation häufiger auf als bei Männern.2

Das Geschlecht kann den entscheidenden Unterschied machen

Welchen Stellenwert hat die Gendermedizin heute in der Kardiologie und welche Hürden gilt es noch zu überwinden, um geschlechtsspezifischen Unterschieden gerecht zu werden? Diesen Fragen geht ein Reviewartikel nach, der im April 2023 publiziert wurde. Konkret geht es um den Einfluss des biologischen und soziokulturellen Geschlechts auf die Pathogenese und die klinische Manifestation von kardiovaskulären Erkrankungen bei Männern und Frauen sowie um das Ansprechen auf therapeutische Interventionen bei beiden Geschlechtern.7

Frauen tendenziell im Nachteil

Eine zentrale Schlussfolgerung der beiden Autorinnen ist, dass geschlechtsspezifische Faktoren oft gegensätzliche Effekte bei Männern und Frauen nach sich ziehen – sowohl was die Symptomatik als auch was die Behandlungsergebnisse betrifft. Obwohl Frauen aufgrund ihrer Biologie zunächst einmal im Vorteil zu sein scheinen, sind sie tendenziell häufiger als Männer von Faktoren betroffen, die sich nachteilig auf die Herzgesundheit und den Therapieerfolg auswirken. Dazu gehören ein geringer sozioökonomischer Status, ein niedriger Bildungsgrad, ein erhöhter Stresslevel oder der schlechtere Zugang zu medizinischer Versorgung.

Hinzu kommt, dass Frauen in klinischen Studien nach wie vor unterrepräsentiert sind und geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Forschung kaum oder nur unzureichend Rechnung getragen wird. Hier sehen die Autorinnen großes Potenzial für Nachbesserungen, um beiden Geschlechtern eine optimale Versorgung zu ermöglichen.7

Neue Initiativen machen Mut

Ein Schritt in die richtige Richtung ist die Gründung von Gender-Herz-Zentren wie am Sana-Klinikum Remscheid oder von Netzwerken wie dem Verein „Netzwerk Frauenherz“, die sich die gendermedizinische Aufklärung von Institutionen, medizinischem Personal und der Öffentlichkeit auf die Fahnen geschrieben haben. Ihre Arbeit soll den Grundstein legen, um die Herzgesundheit von Frauen zu verbessern und existierende Benachteiligungen in der Gesundheitsversorgung hierzulande zu bekämpfen.3, 8


Quellen:

  1. Statistisches Bundesamt (Destatis). Todesursachenstatistik 2021; unter: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=23211-0002#abreadcrumb (abgerufen am 02.11.2023).
  2. Ladwig KH, Waller C. Geschlechtsspezifische Aspekte bei der koronaren Herzkrankheit. Bundesgesundheitsbl 2014;9:1–9.
  3. Netzwerk Frauenherz e.V. Netzwerk Frauenherz; unter: https://www.netzwerkfrauenherz.de/home.html (abgerufen am 06.11.2023).
  4. Kassenärztliche Vereinigung Berlin. Gendermedizin in der Kardiologie: Aspekte der Diagnostik und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen (August 2011); unter: https://mvz-rankestrasse.de/tl_files/pub/KVBlatt-08-2011-Gendermedizin-in-der-Kardiologie.pdf (abgerufen am 02.11.2023).
  5. ärzteblatt.de. Warum Herzinfarkte bei Frauen anders verlaufen (Januar 2016); unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/65522/Warum-Herzinfarkte-bei-Frauen-anders-verlaufen (abgerufen am 02.11.2023).
  6. Regitz-Zagrosek V. Gendermedizin: Wie Frauen sich „kardial“ unterscheiden. Dtsch Arztebl International 2015;112:14; unter: https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=168844 (abgerufen am 02.11.2023).
  7. Regitz-Zagrosek V, Gebhard C. Gender medicine: effects of sex and gender on cardiovascular disease manifestation and outcomes. Nat Rev Cardiol.2023;20:236–247.
  8. Thieme kma Online. Gender-Herz-Zentrum – Sana hat geschlechtsspezifische Diagnose und Therapie im Fokus (Mai 2023). unter: https://www.kma-online.de/aktuelles/medizin/detail/sana-hat-geschlechtsspezifische-diagnose-und-therapie-im-fokus-49801 (abgerufen am 02.11.2023).

Bildquelle: iStock: ID 458555499; Urheber: kaisphoto

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