Mythencheck: 3 populäre Irrtümer zum Thema Schlaganfall

Veröffentlicht am: 20.04.2023

Ist Rotwein wirklich gut fürs Herz? Und ist ASS das richtige Medikament zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse? Die Antworten auf diese und andere Fragen finden Sie in diesem Beitrag.

Mythos 1: „Ischämische Schlaganfälle verlaufen bei Frauen und Männern gleich.“

Viele gehen davon aus, dass der Verlauf von ischämischen Schlaganfällen bei Frauen und Männern gleich ist. Tatsächlich gibt es keinen Hinweis darauf, dass Frauen mit einem akuten ischämischen Schlaganfall anders diagnostiziert oder behandelt werden sollten als Männer.

Trotzdem scheint es in Bezug auf Risikofaktoren wie auch auf Symptomkonstellationen zwischen Schlaganfallpatient*innen einige bemerkenswerte Unterschiede zu geben:

  • Betroffene Frauen sind bei einem Schlaganfall im Schnitt 5,2 Jahre älter als Männer.1
  • Hypertonie und Vorhofflimmern (VHF) treten häufiger bei Patientinnen, Alkohol- oder Nikotinkonsum, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus häufiger bei Patienten auf.1
  • Frauen scheinen eher kardioembolische, Männer eher atherothrombotische Schlaganfälle zu erleiden.1
  • Der Schweregrad des Schlaganfalls ist nicht eindeutig geschlechtsabhängig. Manche Studien sehen hier keinen Unterschied, andere kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen mehr schwere Schlaganfälle erleiden als Männer.1
  • Frauen zeigen in der Akutphase möglicherweise häufiger atypische Schlaganfallsymptome wie Bewusstseinsstörungen, Inkontinenz oder Schluckstörungen.1
  • Bei einer oralen Antikoagulationstherapie aufgrund von VHF haben Frauen unter Vitamin-K-Antagonisten (VKAs) ein signifikant höheres residuelles Schlaganfallrisiko als Männer – auch bei optimaler INR-Einstellung.2
  • Im Gegensatz dazu, sind die Raten für Schlaganfälle oder systemische Embolien bei der Behandlung mit Nicht-VKA oralen Antikoagulanzien (NOAKs) bei Frauen und Männern vergleichbar.2,3

Mythos 2: „ASS ist bei der Schlaganfallprävention stets das Mittel der Wahl.“

In Deutschland ist die Acetylsalicylsäure (ASS) in der Regel die favorisierte Option für die Thrombozytenaggregationshemmung (TAH) in der Schlaganfallsekundärprävention. Und noch immer kursiert die Annahme, dass ASS in jedem Fall das Mittel der Wahl zur Schlaganfallprävention ist.

Tatsächlich empfiehlt keine Leitlinie für die allgemeine Bevölkerung einen TAH zur Primärprävention von zerebrovaskulären Ereignissen. Laut der aktuellen S3 Leitlinie zu Schlaganfällen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) sei dadurch keine Risikoreduktion erreichbar.4 ASS eigne sich allenfalls bei Patient*innen mit einem deutlich erhöhten kardiovaskulären Risiko (> 20 %/10 Jahre) zur Primärprävention von Herzinfarkt und Schlaganfall, so die Autoren.4

Hinzu kommt, dass die Studien ARRIVE, ASCENS und ASPREE gezeigt hätten, dass niedrig dosiertes ASS (100 mg/Tag) in der Primärprävention von Herz-Kreislauf-Ereignissen bei sonst gesunden älteren Personen sowie bei Personen mit mäßig erhöhtem kardiovaskulärem Risiko nicht effektiv sei.4

Anders sieht es nach einem akuten ischämischen Schlaganfall oder einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) aus. Hier sollte den Betroffenen grundsätzlich eine TAH-Therapie angeboten werden – zumindest sofern kein VHF oder eine hochgradige symptomatische Karotisstenose vorliegt.4,5

Bei Patient*innen mit VHF bietet ASS nach den aktuellen europäischen Behandlungsleitlinien keinen ausreichenden Schutz vor Schlaganfällen. Empfohlen wird hier eine orale Antikoagulationstherapie mit NOAKs.6

Mythos 3: „Rotwein ist gut fürs Herz.“

In der französischen Bevölkerung sind die Raten für koronare Herzerkrankungen laut Buljeta et al. niedrig, obwohl die landestypische Ernährung auf viel Cholesterin und gesättigten Fettsäuren basiere.

Einer der möglichen Gründe für das sogenannte „französische Paradoxon“: der moderate und regelmäßige Weinkonsum der Französinnen und Franzosen. Dies erkläre das zunehmende Interesse der Wissenschaft am Zusammenhang von Wein und der kardiovaskulären Gesundheit, so die Autorinnen und Autoren.7 Aber ist das Paradoxon auch der Ursprung für den Mythos „Rotwein ist gut fürs Herz“?

Weaver et al. führten den Mythos des gesunden Glas Rotweins auf die Annahme zurück, dass die darin enthaltenen sekundären Pflanzeninhaltsstoffe wie Flavonoide und Polyphenole einen positiven Einfluss auf die Herzgesundheit haben.8 Dabei wird besonders häufig das Polyphenol Resveratrol genannt. Für Resveratrol wird neben einem positiven Einfluss auf den Blutdruck auch das Potenzial zur Erhöhung des HDL-Spiegels diskutiert.

 

In Studien zeigt sich allerdings kein einheitliches Bild bei der Wirkung des Resveratrols. Zudem werden hier häufig sehr hohe Dosierungen von 100 bis 3.000 mg täglich eingesetzt.9,10 Der Resveratrolgehalt in Rotwein schwankt je nach Rebsorte erheblich und liegt mit durchschnittlich 0,24 mg pro 100 ml deutlich unter den oben genannten Werten.11

Ein anderer Aspekt ist der Effekt des Alkohols. Auch hier gibt es widersprüchliche Erkenntnisse: Während einige Studien positive Effekte eines moderaten Alkoholkonsums aufzeigen,12,13 weisen andere Arbeiten auf eine Erhöhung des Risikos für Herzerkrankungen hin.14,15

So kann schon ein geringer regelmäßiger Alkoholkonsum (1,2 Gläser/Tag bzw. 2 g Alkohol/Tag) mit einem erhöhten Risiko für VHF verbunden sein.14 Auch in Bezug auf hämorrhagische Schlaganfälle scheint es ein linear ansteigendes Risiko mit zunehmender Alkoholaufnahme zu geben.4,16 Bei dem Risiko für ischämische Schlaganfälle zeigt sich hingegen das Bild einer J-Kurve: Geringe bis moderate Alkoholmengen scheinen hier mit einem gewissen protektiven Effekt einherzugehen.4,16


Referenzen

  1. Ringleb P et al. Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, S2e-Leitlinie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (2021); unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2022-11.pdf (abgerufen am 01.04.2023).
  2. Westerman S, Wenger N. Gender Differences in Atrial Fibrillation: A Review of Epidemiology, Management, and Outcomes. Curr Cardiol Rev 2019;15:136–144.
  3. Zelniker TA, Ardissino M, Andreotti F et al. Comparison of the Efficacy and Safety Outcomes of Edoxaban in 8040 Women Versus 13 065 Men With Atrial Fibrillation in the ENGAGE AF-TIMI 48 Trial. Circulation 2021;143:673–684.
  4. Mader FM, Schwenke R. S3-Leitlinie: Schlaganfall. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Berlin (Hrsg.). AWMF-Register-Nr. 053-011 (2020); unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2021-03.pdf (abgerufen am 01.04.2023).
  5. Kleindorfer DO et al. 2021 Guideline for the Prevention of Stroke in Patients With Stroke and Transient Ischemic Attack: A Guideline From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2021;52:e364-e467. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34024117/ (abgerufen am 01.04.2023).
  6. Hindricks G et al. 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2020: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32860505/ (abgerufen am 01.04.2023).
  7. Buljeta I et al. Beneficial Effects of Red Wine Polyphenols on Human Health: Comprehensive Review. Curr Issues Mol Biol 2023;45:782-798.
  8. Weaver et al. Fine wine or sour grapes? A systematic review and meta-analysis of the impact of red wine polyphenols on vascular health. European Journal of Nutrition 2021;60:1-28.
  9. Asgary S et al. Effect of resveratrol on metabolic syndrome components: A systematic review and meta-analysis. Rev Endocr Metab Disord 2019;20:173-186.
  10. Fogacci F et al. Effect of resveratrol on blood pressure: A systematic review and meta-analysis of randomized, controlled, clinical trials. Crit Rev Food Sci Nutr 2019; 59:1605-1618.
  11. Vitrac X et al. Direct liquid chromatographic analysis of resveratrol derivatives and flavanonols in wines with absorbance and fluorescence detection. Analytica Chimica Acta 2002;458:103-110.
  12. Bell S et al. Association between clinically recorded alcohol consumption and initial presentation of 12 cardiovascular diseases: population based cohort study using linked health records. Bmj 2017;356:j909.
  13. De Oliveira ESER et al. Alcohol consumption raises HDL cholesterol levels by increasing the transport rate of apolipoproteins A-I and A-II. Circulation 2000;102:2347-2352.
  14. Csengeri D et al. Alcohol consumption, cardiac biomarkers, and risk of atrial fibrillation and adverse outcomes. Eur Heart J 2021;42:1170-1177.
  15. Larsson SC et al. Alcohol Consumption and Cardiovascular Disease: A Mendelian Randomization Study. Circ Genom Precis Med 2020;13:e002814.
  16. Patra J et al. Alcohol consumption and the risk of morbidity and mortality for different stroke types--a systematic review and meta-analysis. BMC Public Health 2010;10:258.

Bildquelle: Stock-Fotografie-ID:917882036; Urheber: AndreyPopov

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