Zeit ist Geld – Kliniken zwischen Medizin und Ökonomie

Veröffentlicht am: 27.02.2024

Im internationalen Vergleich ist das deutsche Gesundheitssystem gut finanziert. Trotzdem müssen die Kliniken sparen. Dadurch bleibt immer weniger Zeit für eine gute Versorgung der Patient:innen. Was sind die Ursachen dafür und welche Lösungsansätze hat die Politik?

Die Forderungen der Ärzt:innen aus deutschen Universitätskliniken sind eindeutig: 12,5 % mehr Gehalt sowie höhere Zuschläge für Regelarbeit in der Nacht, an Wochenenden und Feiertagen. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) rief Anfang des Jahres zum Streik auf, um diesen Anliegen Nachdruck zu verleihen und um auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hinzuwirken. Denn auch die Arbeitsbelastung der Ärzt:innen an den Unikliniken ist hoch und es bleibt immer weniger Zeit für eine gute Versorgung der Patient:innen.1

Dass dies nicht nur für Mitarbeitende der Unikliniken gilt, bestätigt eine Umfrage des MB im Jahr 2022 unter 8.464 Ärzt:innen in deutschen Krankenhäusern. Aus der Mitgliederbefragung ging hervor, dass sich die Situation an den Kliniken durch zu wenig Personal, zu viel Bürokratie und unzulängliche Digitalisierung verschlechtere.2

Demgegenüber steht die angespannte Finanzsituation vieler Krankenhäuser, die durch die steigenden Energiekosten, die Inflation und den zunehmenden Fachkräftemangel unter Druck geraten. So werden nach Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Jahr 2024 viele Kliniken in die Zahlungsunfähigkeit rutschen. Der DKG-Verbandschef Gerald Gaß sprach in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) von einem drohenden Rekordinsolvenzjahr.3

Finanzsituation der deutschen Krankenhäuser

Die Krankenkassen kommen dabei für die Betriebskosten und die Kosten der Patient:innenversorgung auf. Die Länder sollten eigentlich die Investitionskosten tragen, allerdings wird von ihnen oft nur ein Bruchteil der notwendigen Ausgaben übernommen.4 Den Rest müssen die Krankenhäuser selbst stemmen, sofern sie dazu in der Lage sind.4

Das „Krankenhaus Barometer“, eine jährlich stattfindende Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) unter zugelassenen Allgemeinkrankenhäusern ab 100 Betten in Deutschland, ergab, dass 75 % der befragten Häuser im Jahr 2023 ein negatives Jahresergebnis aufwiesen. Dies entspricht einer Steigerung um rund 25 % gegenüber dem Vorjahr. Eine deutliche Mehrheit der Befragten (71 %) ging für das Jahr 2024 von einer weiteren Verschlechterung der Gesamtsituation aus. Laut dem DKG-Verbandschef werden den Kliniken bis zum Jahresende insgesamt 10 Milliarden Euro fehlen.3

Wie die Ökonomisierung der Krankenhäuser begann

Bis Mitte der 1970er Jahre wurde das deutsche Gesundheitssystem ausgebaut. Danach lautete die Devise jedoch zunehmend „Kosten einsparen!“. Die Folgen dieser Einsparungsmaßnahmen sind ein Investitionsstau, Schließungen, Privatisierungen und der Abbau von Belegbetten. Aus diesen strukturellen Veränderungen resultiert wiederum ein erhöhter Kostendruck – ein Teufelskreis.5

Einführung des Fallpauschalensystems

Im Zuge der Sparmaßnahmen wurde im Jahr 2004 das Fallpauschalensystem eingeführt. Es bietet weitere Anreize für eine gewinnoptimierte Behandlung der Patient:innen: Das System gibt je nach Schweregrad und Art der Erkrankung eine standardisierte Aufenthaltsdauer vor, die sogenannte Grenzverweildauer. Diese bringt die Behandelnden in einen Zwiespalt, da sie ständig zwischen medizinisch sinnvollen Liegezeiten und ökonomischen Aspekten abwägen müssen.

Zwar mussten Ärzt:innen schon immer in gewissem Maße ein „strategisches Zeitmanagement“ bei der Behandlung an den Tag legen, aber durch die Priorisierung betriebswirtschaftlicher Vorgaben fehlen inzwischen zudem zeitliche Ressourcen für einen angemessenen Patient:innenkontakt. All dies kann zu einer latenten Berufsunzufriedenheit führen. Um sich von den starren Vorgaben zu lösen, reduzieren Ärzt:innen sowie medizinisches Personal immer häufiger ihre Arbeitszeit oder wechseln in den niedergelassenen Bereich oder in die Leiharbeit.5

Probleme des Fallpauschalensystems5

  • Die Grenzverweildauer ist oft nicht realitätsnah: Komplikationen, Komorbiditäten oder eine ungesicherte soziale Versorgung nach der Entlassung bedingen häufig längere Liegezeiten.
  • Verkürzte Liegezeiten und häufige Patient:innenwechsel führen zu Zeitmangel und Stress beim medizinischen Personal. Die psychosoziale Zuwendung gegenüber den Patient:innen wird reduziert, da diese nicht abrechenbar ist.
  • (Chef-)Ärzt:innen erhalten immer weiter steigende Fallzahlvorgaben.

Die Krankenhausreform: Eckpfeiler und Details

Das Bundesgesundheitsministerium scheint sich der Schwächen des Fallpauschalensystems bewusst geworden zu sein. Unter dem derzeitigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der das System vor 20 Jahren selbst mit eingeführt hatte, wurde nun eine umfangreiche Krankenhausreform angeschoben.6

Das überholte System der Fallpauschalen soll demnach durch eine Vorhaltevergütung ergänzt werden.7 Die Kliniken arbeiten in Zukunft mit Vorhaltepauschalen, die eine Art Existenzgarantie darstellen, wenn in den Krankenhäusern vergleichsweise wenig Behandlungen angeboten werden. Der Gedanke dahinter: ein stärkerer Fokus auf Qualität. Die Krankenhäuser sollen die Chance erhalten, auch mit weniger Behandlungen zu überleben. Die Patient:innen können sich im Gegenzug darauf verlassen, dass ihre Behandlungen auch wirklich notwendig sind und nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen basieren.8 Wann die Reformen alle notwendigen Gremien und Abstimmungen durchlaufen haben werden, bleibt allerdings offen.

Fazit

  • Die Ärzt:innen deutscher Universitätskrankenhäuser fordern bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Vergütung.1
  • Gleichzeitig stehen die Krankenhäuser und deren Träger unter enormem wirtschaftlichen Druck.3
  • Die Ökonomisierung des deutschen Gesundheitssystems gipfelte im Jahr 2004 in der Einführung des Fallpauschalensystems.5
  • Umfangreiche Reformen sollen die Situation entspannen: Vorhaltepauschalen sollen den Krankenhäusern die Möglichkeit geben, trotz weniger Behandlungen wirtschaftlich zu arbeiten.7


Quellen:

  1. ZDF heute. Ärztestreik an Unikliniken: Darum geht es (30.01.2024); unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/streik-unikliniken-aerzte-100.html (abgerufen am 11.02.2024).
  2. Marburger Bund. MB-Monitor 2022: Zu wenig Personal, zu viel Bürokratie, unzulängliche Digitalisierung (2022); unter: https://www.marburger-bund.de/bundesverband/themen/marburger-bund-umfragen/mb-monitor-2022-zu-wenig-personal-zu-viel-buerokratie (abgerufen am 11.02.2024).
  3. Tagesschau. Insolvenzwelle bei Krankenhäusern befürchtet (27.12.2023); unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/krankenhaus-insolvenz-kosten-reform-100.html#:~:text=%22Wir%20verzeichnen%20aktuell%20deutlich%20mehr,es%20knapp%2040%20Insolvenzen%20gegeben (abgerufen am 11.02.2024).
  4. Goldschmidt JW. Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern. Hessisches Ärzteblatt 2020; 2/2020:90–92.
  5. Wilkesmann M, Falkenberg J. Im Zeichen von Ökonomisierung und Digitalisierung. Kontinuität und Wandel von Professionsvorstellungen in der Ärzteschaft im Krankenhaus. Aus Politik und Zeitgeschichte 2021;71:39–46.
  6. Bundesministerium für Gesundheit. Lauterbach: "Wir haben die Balance zwischen Medizin und Ökonomie verloren" (14.12.2022); unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interview/krankenhausreform-diezeit-14-12-22 (abgerufen am 11.02.2024).
  7. Bundesministerium für Gesundheit. Eckpunktpapier. Krankenhausreform (10.07.2023); unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/Eckpunktepapier_Krankenhausreform_final.pdf (abgerufen am 11.02.2024).
  8. Bundesministerium für Gesundheit. Krankenhausreform (Stand 30.01.2024); unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenhaus/krankenhausreform.html (abgerufen am 11.02.2024).

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